Zwischen Beruf und Berufung

Wie Ehrenamtliche Job und Engagement unter einen Hut bekommen

Fast jeder Zweite in Baden-Württemberg engagiert sich ehrenamtlich. Doch Beruf und Ehrenamt im Alltag unter einen Hut zu bekommen, ist nicht immer ganz einfach. Was viele nicht wissen: In einigen Fällen können Arbeitnehmer sich für ihr Engagement von der Arbeit freistellen lassen.

Wenn Simon Häberle zum Einsatz muss, lässt er schon mal alles stehen und liegen. Denn manchmal muss es schnell gehen: „Wenn wir zu einem Brand gerufen werden, kommt es auf jede Minute an“, sagt er. Wie sein Bruder Lutz ist auch er Mitglied der Feuerwehr Rommelshausen. Und gemeinsam mit seinem Bruder führt er auch die ortsansässige Häberle Sanitärtechnik GmbH. „Das ist natürlich in der Praxis gut. Wir sind zu zweit und können uns gegenseitig vertreten“, erklärt Häberle. So könne eigentlich immer einer zum Einsatz ausrücken.

Dennoch geht durch die Einsätze natürlich Arbeitszeit verloren. Von Gesetzes wegen hätte Simon Häberle das Recht, sich den Verdienstausfall von der Gemeinde erstatten zu lassen. Das kommt für ihn aber gar nicht infrage: „So ein Ehrenamt ist für mich selbstverständlich und eine Sache der Nächstenliebe.“ Es sei sein Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft. Deshalb würde er auch seine Mitarbeiter für eine ehrenamtliche Tätigkeit jederzeit freistellen.

Auch der Arbeitgeber von Sina Michalke unterstützt ihr ehrenamtliches Engagement. Die 36-Jährige kennt die Arbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr Stetten von Kindesbeinen an: Bereits ihr Großvater und Vater haben sich dort engagiert. Klar also, dass sie im Alter von 15 Jahren selbst aktiv wurde. Heute ist sie Gruppenführerin.

Der Arbeitgeber unterstützt das Engagement

Seit 14 Jahren arbeitet Michalke im Vertrieb der Firma Stihl. Ihr Arbeitgeber habe sie von Anfang an unterstützt, sagt sie. „Es gab sogar mal einen großen Artikel in unserer Mitarbeiterzeitschrift über meine Tätigkeit bei der Feuerwehr.“ Über einen längeren Zeitraum hat sie sich zwar noch nie freistellen lassen – Fortbildungen habe sie immer im Urlaub gemacht. Aber es sei nie ein Problem, wenn sie während der Arbeitszeit zu einem Einsatz müsse. „Mein Chef sitzt gegenüber von mir. Ich werfe ihm einen Blick zu und er weiß dann schon, was los ist“, sagt Michalke.

Ihr Feuerwehrkollege Markus Medinger arbeitet im Home-Office als Produktmanager für den Softwarehersteller Unify. Der 48-Jährige kann sich seine Arbeitszeit weitestgehend selbst einteilen. „Wenn mein Piepser sich meldet, düse ich los. Außer ich bin gerade in einer wichtigen Telefonkonferenz.“ Verpasste Arbeitszeit holt er meist in den Abendstunden oder nachts nach. Für eine Fortbildung hat er sich aber schon mal offiziell von seinem Arbeitgeber freistellen lassen. Als Führungskraft – er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig – sei er mindestens einmal pro Woche im Einsatz, berichtet er.

Noch häufiger ist Feuerwehrkommandant Andreas Wersch gefordert. Er ist zudem Pressesprecher des Führungsstabs Bevölkerungsschutz im Rems-Murr-Kreis, für den auch Medinger neben seinem Engagement bei der Feuerwehr tätig ist, und der baden-württembergischen Feuerwehren. Etwa 15 bis 20 Stunden kämen da pro Woche locker zusammen, schätzt er. Zudem ist er Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kernener Gemeinderat.

Für seine Ehrenämter lässt er sich regelmäßig von seinem Hauptberuf als Lehrer freistellen. „Für den Gemeinderat kommt das häufiger vor als für die Feuerwehr“, berichtet er. Sitzungen des Kreistags, verschiedener Ausschüsse und Begehungen fänden meist nachmittags statt. Als stellvertretender Schulleiter ist er zuständig für die Erstellung der Stunden- und Vertretungspläne und hat seine Zeitplanung selbst in der Hand. „Aber natürlich wäge ich jedes Mal sehr genau ab“, schränkt er ein. „Ich möchte weder, dass meine Kollegen mich zu häufig vertreten müssen, noch, dass der Unterricht ausfällt.“

In seiner fast 20-jährigen Tätigkeit als Feuerwehrkommandant habe er nie erlebt, dass ein Arbeitgeber einem Engagement bei der Feuerwehr ablehnend gegenübergestanden hätte, sagt Wersch. „Und wenn doch mal Nachfragen kamen, dann aus Unwissenheit.“ Nichts, was sich nicht durch ein Gespräch klären ließe. Das sei auch nur logisch: „Im Notfall erwartet ja auch jeder, dass ihm geholfen wird“, betont Wersch. Für ihn kommt noch ein wichtiger Faktor hinzu. „Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, sind auch als Angestellte nicht diejenigen, die nur Dienst nach Vorschrift machen“, ist er überzeugt.

Fortbildung fürs Ehrenamt mit Bildungsurlaub

Mehr Zeit für sein Engagement im Arbeitskreis Asyl Kernen würde sich Joachim Wagner manchmal wünschen. Er übernimmt dort vor allem Organisatorisches, zurzeit die Öffentlichkeitsarbeit. Eine Patenschaft für einen Flüchtling würde er gerne übernehmen, doch das lässt seine Zeit nicht zu. Als Sozialpädagoge leitet der 47-Jährige eine Förder- und Beschäftigungsgruppe der Remstal-Werkstätten.

Sein Arbeitgeber, die Diakonie Stetten, habe sein Engagement von Anfang an unterstützt, erzählt Wagner. Sowohl mit einem Raum für den Deutschkurs als auch mit Unterstützung beispielsweise beim Transport eines Whiteboards für den Unterricht.

Zudem hat er im vergangenen Jahr Bildungsurlaub nach dem neuen Bildungszeitgesetz in Anspruch genommen, für eine Fortbildung zum Thema Homepage-Erstellung. Nach einer Freistellung für seine ehrenamtliche Tätigkeit zu fragen, sei ihm bislang noch nicht in den Sinn gekommen. „Es würde mir vorkommen, als würde ich meine Kollegen im Stich lassen“, sagt er. Denn er möchte auf keinen Fall, dass sein Beruf unter seinem Engagement leidet.

Freistellung: Wann?

Nach Auskunft der IHK Region Stuttgart müssen Unternehmen ihre Arbeitnehmer für Ehrenämter freistellen, die im öffentlichen Interesse liegen. Das gilt beispielsweise für ehrenamtliche Mandatsträger in Gemeindeverwaltungen.

Auch für eine Tätigkeit bei der Feuerwehr muss der Arbeitgeber freistellen, das ist in Baden-Württemberg durch das Feuerwehrgesetz geregelt. In diesem Fall kann sich der Arbeitgeber das während der Freistellung fortgezahlte Entgelt von der Gemeinde erstatten lassen. Ähnliches gilt für eine Tätigkeit beim Technischen Hilfswerk (THW), die Details regelt bundesweit das THW-Gesetz. Hier erstattet der Bund fortgezahltes Entgelt.

Eine Freistellung für bis zu zehn Tage im Jahr gibt’s in Baden-Württemberg nach dem Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit auch für ehrenamtliche Tätigkeiten in der Jugendarbeit. Ebenso werden Arbeitnehmer für die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten, beispielsweise als Schöffe, oder für eine Tätigkeit als IHK-Prüfer freigestellt. Hier findet § 616 BGB Anwendung.

Selbstständige können sich ebenfalls ihren durch öffentliche Ehrenämter entstandenen Arbeitsausfall erstatten lassen. Arbeitnehmer haben nach dem neuen Bildungszeitgesetz Baden-Württemberg zudem Anspruch auf bis zu fünf Tage Bildungsurlaub zur beruflichen oder politischen Weiterbildung oder zur Qualifizierung für die Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten.

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Gruppenleiterin Sina Michalke und Kommandant Andreas Wersch (rechts) engagieren sich bei der
Freiwilligen Feuerwehr Kernen. Bild: Steinemann

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung vom 29.01.2016 / Text: Liviana Jansen